Rezension des Buches „Wie alles zusammenbrechen kann. Handbuch der Kollapsologie“ von Pablo Servigne und Raphaël Stevens in der Zeitschrift CONTRASTE – zeitung für selbstorganisation. Februar 2023, Nr. 461, S. 15. (hier etwas erweitert gegenüber der gedruckten Version) – Autorin: Annette Schlemm
Das Thema des möglichen und vielleicht schon wahrscheinlichen Untergangs der Menschheit als Zivilisation und eines großen Teils der Biosphäre ist Gegenstand vieler Debatten und individueller Ängste. Sie lässt sich nicht mehr umgehen, wie Fabian Scheidler im Vorwort des Buches von Pablo Servigne und Raphaël Stevens schreibt (Scheidler 2022: 19). Das Ziel in ihrem Buch „Wie alles zusammenbrechen kann“ ist es nicht, noch mehr „Angst zu machen, sondern um unsere Angst zu domestizieren“ und „ein wenig Vernunft in die Debatten zu tragen“ (Servigne, Stevens 2022: 22). Sie legen viel Wert darauf, nicht den Vorwurf der Überdramatisierung der ökologischen Gefahren auf sich zu ziehen und nennen ihr Konzept deshalb „Kollapsologie“, um ihr wissens(chafts)basiertes Vorgehen zu betonen.
Im ersten Teil ihres Buches fassen sie deshalb Phänomene zusammen, die wir seit einiger Zeit kennen, wie die in vielen Bereichen auftretende enormen Beschleunigung der Naturvernutzung, der Umgestaltung der Erde seit dem Eintritt in das sog. „Anthropozän“ und deren gefährlichen Folgen. Solche sich beschleunigenden Verbrauchskurven bei begrenzten Ressourcen führen in dynamischen Systemen regelmäßig zu Zusammenbrüchen, wie Menschen und Ökosysteme sie auch schon in früheren Zeiten in regionalen Maßstäben erleben mussten. Wir erzählen meist nur jene Geschichten, in denen die Rettung doch noch gelang – aber was, wenn nicht? Diese Frage lässt sich nicht mehr zurückstellen. Vier von neun sog. Planetaren Belastungsgrenzen sind bereits überschritten, beim Klimawandel ist das in wenigen Jahren zu erwarten. Dieses „Überschreiten“ kennzeichnet jeweils einen „Point of no return“ und diese negativen Entwicklungen verstärken sich im allgemeinen gegenseitig in gefährlicher Weise.
Wie vorherige netzwerkartigen Zusammenhänge sehr plötzlich zusammenbrechen können, darüber geben Erkenntnisse aus den Komplexitätswissenschaften seit vielen Jahren immer bessere Auskunft. Es gibt z.B. Warnsignale und es wäre wirklich verantwortungslos, aus Angst vor der Katastrophe derartige Forschungen zu unterlassen und auf mögliches Wissen darüber zu verzichten, weil ein Ernstnehmen der existenziellen Risiken vielleicht die Rettungs-Moral verderben könnte.
Die Wissenschaft vom möglichen Kollaps bezieht sich auf die Zukunft und von der wissen wir, dass sie ungewiss ist. Aus dieser Unsicherheit können wir jedoch nur schließen, dass wir einer möglichen Gefahr umso verantwortungsvoller zuvor handeln müssen. Zuvor-Handeln nicht nur für eine Verhinderung, sondern auch für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem, was trotzdem passieren kann. Menschen sind vorsorgende Wesen und antizipierende Wesen – das Sich-Einlassen auf Schlimmes und das Schlimmste gehört dazu, um menschlich damit umgehen zu können. Es gilt, sich auch auf eine vernünftige „Politik des Zusammenbruchs“ vorzubereiten, je eher und je gründlicher umso besser. Dazu gehört dann auch die Trauer um die verlorenen Zukünfte, die wir uns ohne die schon eingeleiteten Desaster gewünscht hätten.
Es gibt bereits mehrere Konzepte, z.B. „Deep Adaptation“ und die an der Tiefenökologie orientierten Arbeiten und Gruppenpraxen von Joanna Macy, die sich diesen heranrückenden großen Gefährdungen widmen. Meiner Einschätzung nach ist das „Handbuch der Kollapsologie“ in seiner Sachlichkeit wie auch der Angemessenheit an die Herausforderung das wichtigste Buch zu diesem Thema und deshalb unbedingt zu empfehlen.
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